«Schellen-Ursli»
von Selina Chönz
Illustriert von Alois Carigiet
 
Test Test und gleich nochmals test... 

Engadin

3.5.2012, Cordula Seger

Schellenursli bleibt draussen

Eine Generation, die mit Alois Carigiets Schellenursli gross geworden ist und es sich im Selbstverständnis des kultivierten Anti-Touristen leisten kann, die Trutzburgen der alten Engadiner Häuser bewohnbar zu machen, sorgt für eine Welle des Authentischen.

Kulturbeflissene Betuchte kaufen die grossen, über die Zeit gewachsenen Bauernhäuser, die mitunter selbst schon um 1900 zu Bürgerhäusern umgebaut wurden, und bewohnen diese während weniger Ferienwochen in opulenter Kargheit.

Im leeren, aber sorgfältig hergerichteten Heustall lagert man mit Vorliebe Kunst. Bei den aktuellen Immobilienpreisen im Oberengadin, die sich allein in den letzten zehn Jahren verdoppelt haben und mit ausgezeichneten Lagen am Zürich- und Genfersee zu den teuersten der Schweiz gehören, steht der kunstsinnige Heustall – den man ja auch als Wohnraum nutzen könnte – für den wahren Luxus des edlen Verzichts. Als Wohltäter fürs intakte Dorfbild darf sich fühlen, wer sich das Engadinerhaus zur Zweitwohnung umbaut. Denn in der Folge einer von der Denkmalpflege gestützten Argumentation, die den Originalzustand propagiert und damit insbesondere auf das seit dem 19. Jahrhundert wirkmächtige Bild und nicht auf die Typologie des Engadinerhauses referiert, werden die Touristen als die besseren Einheimischen gelobt, wie ein Artikel des Tages Anzeigers zum Thema zeigt: «Grosse Engadinerhäuser könnten nur von Multimillionären renoviert werden, erklärte der Gemeindepräsident von S-chanf in den letzten Tagen immer wieder. Einheimische seien kaum in der Lage, sich solche Gebäude zu leisten. Gemeinsam ein Haus zu kaufen, sei häufig nicht möglich, weil man darin nicht mehrere Wohnungen einrichten dürfe. „Da legt die Denkmalpflege sofort Einspruch ein», sagte Gemeindepräsident Duri Campell.»[1]

Die Verdrängung der einheimischen Bevölkerung aus den Dorfkernen hat also System. Im wunderschönen historischen Zentrum von Zuoz hat dieser Exodus, wie eine Statistik der CS belegt, bereits stattgefunden. Hier ist die Politik ebenso wie jede und jeder einzelne gefragt, denn, wie Martin Neff, Leiter Economic Research CS, zur Problematik Zweitwohnungen ausführt: «Das Umdenken muss im Kopf und nicht im Portemonnaie stattfinden». Umso mehr sind Vorreiter wie die Familie Maria und Johannes Etter mit der Chesa Lucius Rumedius in Madulain wichtig. Dieses Beispiel beweist, dass zeitgemässes Wohnen für ortsansässige Familien in historischer Bausubstanz zu angemessenen Preisen im Oberengadin möglich und erst noch ökonomisch nachhaltig ist.


  1. Duri Campell war von 1990-2002 Gemeindepräsident und ist es erneut seit 2011.